Die Praxis des wirtschaftlichen Neubaus – so nicht!

Steuern
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Dr. Beatrice Van der Haegen-Graber
Dr. Beatrice Van der Haegen-Graber
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15.5.2023
Die Praxis des wirtschaftlichen Neubaus – so nicht!

Die Steuerbehörden werden sich vom Begriff des «wirtschaftlichen Neubaus» verabschieden müssen. Eine Praxisänderung des Bundesgerichts vom 23. Februar 2023 ermöglicht eine differenzierte Betrachtungsweise.

Gemäss Art. 32 Abs. 2 DBG (für die direkten Bundessteuern) sowie Art. 9 Abs. 3 StHG (für die kantonalen Steuern) können die Unterhaltskosten für Liegenschaften von den steuerbaren Einkünften abgezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass nur jene Kosten Unterhaltskosten darstellen, welche dazu dienen, die Liegenschaft in ihrem Wert zu erhalten (BGE 143 II 382, E. 4.2.1). Davon abzugrenzen sind die wertvermehrenden Investitionen, welche als Anlagekosten bei der Einkommenssteuer nicht berücksichtigt werden. Die Abgrenzung von Unterhalts- und Anlagekosten ist im Einzelfall allerdings nicht immer eindeutig. Bei der Einteilung in die eine oder andere Kategorie werden die Arbeiten grundsätzlich einzeln betrachtet und bewertet. Bei umfassenden Renovationen wurde in gewissen Kantonen in der Praxis der Abzug der Unterhaltskosten von den Steuerbehörden abgelehnt. Es bestand die Gefahr, dass die vom Bundesgericht geschaffene Praxis des «wirtschaftlichen Neubaus» zum Zuge kam (siehe Blog vom 27. Mai 2021 Die Praxis des wirtschaftlichen Neubaus – Stolperfalle für Liegenschaftseigentümer). Ein solcher wurde angenommen, wenn die Arbeiten an einer bestehenden Liegenschaft ein so grosses Ausmass erreichten, dass der Um- oder Ausbau wirtschaftlich einem Neubau gleichkam. Wendete die Steuerverwaltung die Praxis des wirtschaftlichen Neubaus an, so waren keine der getätigten Aufwendungen (auch wenn sie zweifelsohne Unterhaltskosten darstellten) vom steuerbaren Einkommen des Eigentümers absetzbar. In einem solchen Fall wurden die gesamten Aufwendungen als wertvermehrend und damit als Anlagekosten qualifiziert. Die getätigten Aufwendungen wurden dann nicht mehr, wie eigentlich gesetzlich vorgesehen, als einzelne Arbeiten betrachtet, sondern die Renovation der Liegenschaft wird einer sog. Gesamtbetrachtung unterzogen und sämtliche Kosten wurden gleichbehandelt («Alles oder nichts»-Ansatz).

Mit dem Urteil vom 23. Februar 2023 (9C_677/2021) hat das Bundesgericht diese Praxis nunmehr beerdigt. Das Bundesgericht argumentiert neu, dass es gemäss den Materialien dem Gesetzgeber bei der Änderung von Art. 32 Abs. 2 DBG darum ging, die wirtschaftliche Betrachtungsweise, auf der die frühere Dumont-Praxis basiert hatte zugunsten einer objektiv-technischen Betrachtungsweise zurückzudrängen. Eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung eines Totalsanierungs-, Renovierungs- oder Umbauprojekts bei einer neu erworbenen Liegenschaft, aufgrund derer der einkommenssteuerliche Kostenabzug schematisch komplett und damit auch für Kostenbestandteile verweigert wird, die bei individueller Betrachtung aufgrund ihrer objektiv-technischen Natur eigentlich werterhaltender Natur wären, ist also weder mit dem Wortlaut noch mit der Entstehungsgeschichte von Art. 32 Abs. 2 DBG vereinbar. In diesem Punkt erfolgte eine Gutheissung der Beschwerde der Steuerpflichtigen. Damit ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise mit dem «Alles oder nichts»-Ansatz Vergangenheit und es hat wieder eine objektiv-technische Betrachtungsweise stattzufinden. Für alle Arbeiten an einer neu erworbenen Liegenschaft ist – wie bei allen anderen Liegenschaftskosten – individuell aufgrund ihres objektiv-technischen Charakters und unter Mitwirkung der steuerpflichtigen Person abzuklären, ob sie dazu dienen, einen früheren Zustand der Liegenschaft wiederherzustellen und mithin als werter-haltend die Einkommenssteuer senken.

In casu war zudem streitig, ob denkmalpflegerische Arbeiten angefallen und diese folglich vollständig vom Einkommen abzugsfähig sind. Gemäss dem Bundesgericht war vorliegend für die Ablehnung entscheidend, dass die aufgewendeten Kosten durch Renovierung der Liegenschaft verursacht wurden, diese Renovierung aber insgesamt nicht der Restauration oder der Instandstellung und damit nicht dem Zweck des Denkmalschutzes diente. Die Kosten sind somit nicht unter dem Titel von Art. 32 Abs. 3 DBG abzugsfähig. Zu prüfen bleibt, ob diese nach Art. 32 Abs. 2 DBG abzugsfähig sind.

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