Die Praxis des wirtschaftlichen Neubaus – Stolperfalle für Liegenschaftseigentümer

Steuern
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Dr. Beatrice Van der Haegen-Graber
Dr. Beatrice Van der Haegen-Graber
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27.5.2021
Die Praxis des wirtschaftlichen Neubaus – Stolperfalle für Liegenschaftseigentümer

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Vorbemerkung

Unser Anlass "Blaues Band 2021" hat nicht stattgefunden. Wir haben daher unsere Blog-Tätigkeit für Sie intensiviert.

Unsere letzten 2 Beiträge der Reihe waren:

5. Dividenden ins Ausland – steuerlich nicht ganz ohne …

6. Automatischer Informationsaustausch (AIA) – Erkenntnisse und Auswirkungen

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Die Praxis des wirtschaftlichen Neubaus – Stolperfalle für Liegenschaftseigentümer

Gemäss Art. 32 Abs. 2 DBG (für die direkten Bundessteuern) sowie Art. 9 Abs. 3 StHG (für die kantonalen Steuern) können die Unterhaltskosten für Liegenschaften von den steuerbaren Einkünften abgezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass nur jene Kosten Unterhaltskosten darstellen, welche dazu dienen, die Liegenschaft in ihrem Wert zu erhalten (BGE 143 II 382, E. 4.2.1). Davon abzugrenzen sind die wertvermehrenden Investitionen, welche als Anlagekosten bei der Einkommenssteuer nicht berücksichtigt werden. Letztere können erst beim Verkauf der Liegenschaft zur Minderung der kantonalen Grundstückgewinnsteuer geltend gemacht werden. Dies gilt im Wesentlichen für Liegenschaften des Privatvermögens. In jenen Kantonen, welche für die Veräusserung von Liegenschaften im Geschäftsvermögen die Grundstückgewinnsteuer erheben, gilt dies grundsätzlich aber auch für Liegenschaften im Geschäftsvermögen. Die Abgrenzung von Unterhalts- und Anlagekosten ist im Einzelfall allerdings nicht immer eindeutig. Bei der Einteilung in die eine oder andere Kategorie werden die Arbeiten grundsätzlich einzeln betrachtet und bewertet.

In der Praxis nimmt ein Liegenschaftseigentümer eher selten gestaffelte Renovationen vor, sondern bündelt möglichst viele Arbeiten damit, die Liegenschaft so bald wie möglich wieder ordentlich genutzt werden kann. In solchen Fällen besteht die Gefahr, dass die vom Bundesgericht geschaffene Praxis des wirtschaftlichen Neubaus zum Zuge kommt. Ein solcher wird angenommen, wenn die Arbeiten an einer bestehenden Liegenschaft ein so grosses Ausmass erreichen, dass der Um- oder Ausbau wirtschaftlich einem Neubau gleichkommt. Wendet die Steuerverwaltung die Praxis des wirtschaftlichen Neubaus an, so sind keine der getätigten Aufwendungen (auch wenn sie zweifelsohne Unterhaltskosten darstellen) vom steuerbaren Einkommen des Eigentümers absetzbar. In einem solchen Fall werden die gesamten Aufwendungen als wertvermehrend und damit als Anlagekosten qualifiziert. Bei den getätigten Aufwendungen werden diese dann nicht mehr, wie eigentlich gesetzlich vorgesehen, als einzelne Arbeiten betrachtet, sondern die Renovation der Liegenschaft wird einer sog. Gesamtbetrachtung unterzogen und sämtliche Kosten werden gleich behandelt («Alles oder nichts»-Ansatz).

In seiner Rechtsprechung hat das Bundesgericht mehrere Indizien herausgearbeitet. Von einem wirtschaftlichen Neubau wird z.B. ausgegangen, wenn eine Totalsanierung stattfindet oder wenn die Investitionskosten die Anschaffungskosten übersteigen. Erfolgt eine Aushöhlung des Gebäudes oder von Teilen davon mit einer Neugestaltung der Innenraumeinteilung oder wird die Gebäudehülle ersetzt, kann dies ebenfalls als wirtschaftlicher Neubau qualifizieren. Dies kann ebenso der Fall sein, wenn mit der Neugestaltung eine Nutzungsänderung einhergeht.

Für die Eigentümerin einer Liegenschaft stellt sich daher die Frage, wie erreicht werden kann, dass sämtliche Unterhaltkosten in der privaten Steuererklärung zum Abzug zugelassen bzw. wie die Gefahr der Qualifikation einer Renovation als "wirtschaftlicher Neubau" vermieden werden kann. Der einfachste Ansatz ist, die Renovationsarbeiten auf verschiedene Jahre (und somit Steuerperioden) aufzuteilen. Sind die Unterhaltskosten anerkannt und rechtskräftig veranlagt, ist eine Neubeurteilung praktisch nur noch auf dem Wege einer Revision möglich. Diese Lösung ist jedoch nicht in jedem Falle praktikabel. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, vorweg eine bilaterale Lösung mit der Steuerverwaltung zu erarbeiten (sog. Steuerruling).

Da der dargestellte «Alles oder nichts»-Ansatz keineswegs in jedem Fall zu einem sachgerechten Ergebnis führt, haben vereinzelt Steuerverwaltungen entschieden, die Praxis des wirtschaftlichen Neubaus nicht anzuwenden und insbesondere auch bei umfassenden Sanierungen auf eine Einzelbetrachtung abzustellen (so z.B. der Kanton BE, siehe Tax Info aus dem Jahre 2015). Je nach Kanton ist damit die Praxis unterschiedlich. Eine differenzierte Betrachtungsweise erscheint sachgerechter, ist gesetzeskonform und wäre daher in jedem Fall zu begrüssen.

Abschliessend gilt es festzuhalten, dass die Steuerpflichtigen für steuermindernde Tatsachen die Beweislast tragen. Möchte die Liegenschaftseigentümerin ihre getätigten Ausgaben in Form von Unterhaltskosten von ihren steuerbaren Einkünften abziehen, muss sie den Beweis erbringen, dass die Arbeiten in der entsprechenden Periode auch durchgeführt und die Kosten von ihr bezahlt und wirtschaftlich getragen wurden. In der Praxis genügt meist die Rechnung mit Zahlungsnachweis. Im Kanton BL gilt das Datum der Rechnungsstellung als der massgebende Zeitpunkt für die Abzugsfähigkeit der Liegenschaftsunterhaltskosten. Im Kanton BS ist es der Zeitpunkt der Zahlung.

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